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Ratgeber
17. August 2023

Arbeitszeitverkürzung ohne Gehaltsverlust kann sich lohnen

BRK+
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Bild: ©Nuthawut Somsuk/iStock/Getty Images Plus
Unternehmen sind aufgrund des Fachkräftemangels immer häufiger dazu gezwungen, komplett neue Wege zu gehen. Eine zuerst revolutionär klingende Option ist die Arbeitszeitverkürzung für alle Mitarbeiter bei vollem Lohnausgleich. Beispiele zeigen, dass dies durchaus ein Erfolg versprechender Ansatz sein kann, der zu einer Win-win-Situation für alle Beteiligten führt.

Der Fachkräftemangel und vor allem dessen Überwindung sind in erster Linie ein Thema für Arbeitgeber. Doch es ist durchaus sinnvoll, dass sich auch der Betriebsrat mit möglichen Konzepten beschäftigt, wie sich genügend geeignete Beschäftigte finden und vor allen Dingen auch an den Betrieb binden lassen. Denn gelingen solche Maßnahmen, profitieren davon auch die Kollegen in ganz erheblichem Maße: Sie sind zufriedener und diese Zufriedenheit fällt bestenfalls auch positiv auf den Betriebsrat zurück – zumindest dann, wenn er ein Modell wie die Arbeitszeitverkürzung ohne Gehaltsverlust mitinitiiert hat. Das ist ein Erfolg, der das Ansehen des Gremiums innerhalb der Belegschaft mit Sicherheit steigert. Zwar können Sie die Verkürzung der Arbeitszeit mit vollem Lohnausgleich nicht erzwingen. Aber vielleicht können Sie Ihre Argumente ja vorbringen und die Geschäftsleitung davon überzeugen, wirklich neue Wege zu gehen.

Positive Erfahrungen

Firmen, die aus der Not heraus mit einer Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich experimentieren, berichten durch die Bank, dass sie seitdem eine deutlich geringere Fluktuation beim Personal haben und ohne Probleme geeignete neue Kräfte finden – die Vorstellung, für dasselbe Gehalt weniger zu arbeiten, ist für viele sehr attraktiv. So sparen die Unternehmen wegen der hohen Bleiberate der Beschäftigten viel Geld bei der Personalsuche und verlieren zudem keine Aufträge, da die Belegschaft ausreichend besetzt ist. Auch der Krankenstand ist messbar geringer, was zusätzliche Kosten spart. Diese Vorteile sind durchaus erheblich.

Maßgeschneiderte Lösungen möglich

Viele Firmen, die keine oder zu wenige geeignete Mitarbeiter fanden, haben mit der verkürzten Arbeitszeit ihre Situation verbessert. Welches Modell dabei konkret gewählt wird, hängt von vielen einzelnen Faktoren ab und muss individuell entschieden werden: Häufig wird auf 30, 32 oder 35 Stunden verkürzt. Ein wichtiges Kriterium für den Erfolg ist hier die Flexibilität, um die verschiedenen Bedürfnisse der Mitarbeiter zu decken: Es ist sinnvoll, dass die Beschäftigten die Stunden auf vier oder fünf Tage aufteilen können. Entscheidend ist in der Regel die Lebenssituation der Arbeitnehmer: Eltern, insbesondere solche mit jüngeren Kindern, teilen ihre Stunden lieber auf fünf Tage auf, um am Nachmittag Zeit für die Familie zu haben. Beschäftigte ohne Kinder finden die Idee reizvoll, nur von Montag bis Donnerstag zu arbeiten und dafür ein langes Wochenende zu haben.

Zufriedenheit und Produktivität steigen messbar

Ein weiterer Erfahrungswert von Unternehmen hinsichtlich der Arbeitszeitverkürzung ohne Gehaltseinbuße ist, dass die Mitarbeiter sehr zufrieden sind. Das wiederum wirkt sich positiv auf ihre Motivation und vor allem auf ihre Produktivität aus. Manche Arbeitgeber berichten von einer um ein Drittel (!) erhöhten Produktivität der Mitarbeiter. Denn die Produktivität steigt nicht proportional mit der Anzahl der geleisteten Stunden. Im Gegenteil – Studien zeigen immer wieder, dass Beschäftigte in weniger Stunden voll konzentriert arbeiten und in dieser Zeit viel leisten. Es lohnt sich also, eine ergebnisorientierte Betrachtung der Arbeitsleistung anzustreben und keine rein zeit- oder anwesenheitsorientierte. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Mitarbeiter ein Modell wie die verkürzte Stundenzahl bei vollem Gehalt zu schätzen wissen und dem Unternehmen in der Regel etwas zurückgeben wollen. Umgekehrt ist die Produktivität von Mitarbeitern oft sogar geringer, wenn sie lange Stunden arbeiten. Denn kein Mensch kann zehn oder zwölf Stunden am Tag volle Leistung bringen. Daher ist das Argument, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit verlängern müssen, weil es nicht genügend Fachkräfte gibt, nicht zielführend.

Gleichberechtigung kann gefördert werden

Das attraktive Modell führt nachweisbar dazu, dass die Unternehmen deutlich leichter geeignete Bewerber finden und binden können. Hier nur ein – allerdings typisches – Beispiel: Eine junge, sehr gut ausgebildete Mutter möchte nach knapp zwei Jahren Elternzeit wieder arbeiten. Auch wenn der Rechtsanspruch auf dem Papier besteht, gestaltet sich die Rückkehr in der Praxis oft schwierig. Zwar darf sie während der Elternzeit nicht entlassen werden, aber es ist alles andere als sicher, dass sie nach dem Wiedereinstieg wirklich an die alte – oder sogar eine bessere – Position zurückkehren kann. Zu oft heißt es, dass das mit einer verringerten Stundenzahl wegen der betrieblichen Abläufe nicht möglich sei. Doch gerade hoch qualifizierte Mütter erwarten innovative Lösungen und kein „Das war schon immer so“. So geht viel wertvolles Potenzial verloren. Anders sieht es hingegen aus, wenn Firmen ohnehin für alle Beschäftigten eine verkürzte Arbeitszeit anbieten. Dann gibt es keine Ungleichheit und alle haben dieselben Chancen, ihre Work-Life-Balance zu finden. Und mit 30 Stunden kann auch die junge Mutter – oder der junge Vater –  wieder uneingeschränkt einsteigen und Wertschöpfung für den Arbeitgeber generieren. Sie sind dann keine Beschäftigten zweiter Klasse oder im Rechtfertigungszwang, sondern respektierte gleichwertige Arbeitnehmer innerhalb der Belegschaft, in der alle gleich lang arbeiten. Nicht zuletzt hat die Arbeitszeitverkürzung somit auch den Effekt, die Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft zu verbessern. Interessanterweise zeigen die Erfahrungen, dass es in Firmen mit diesem Modell daher praktisch keinen Gender-Pay-Gap mehr gibt.

Einflussmöglichkeiten des Betriebsrats

In erster Linie ist es zu empfehlen, wenn Sie zu diesem Thema das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen. Vielleicht ist auch die Geschäftsleitung mittlerweile für Wege aufgeschlossen, die früher undenkbar schienen. Besteht eine generelle Offen­heit zum Thema, könnte in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe – bestehend aus Vertretern von Arbeitgeber und Betriebsrat sowie hinzugezogener Experten – erörtert werden, welche Konzepte funktionieren und wie die Arbeitsabläufe im Betrieb eventuell geändert werden könnten bzw. müssten, um die Arbeitszeitverkürzung Wirklichkeit werden zu lassen. Hier könnte es ratsam sein, zunächst einen Bereich, der sich für das Erproben der Neuerung besonders gut eignet, für ein Pilotprojekt zu identifizieren. Im kontrollierten und klar umrissenen Umfeld könnte die Arbeits­gruppe so wertvolle Erfahrungen sammeln und diese Erkenntnisse dann, falls möglich, (nach und nach) auf den gesamten Betrieb ausweiten.

Silke Rohde
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