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News
08. November 2023

Aktuelle Urteile zu Corona

BRK+
Frau erhält eine Impfung.
Bild: ©AndreyPopov/iStock/Getty Images Plus
Die Pandemie ist überstanden, doch das heißt nicht, dass es keine Coronainfektionen mehr gibt. Mittlerweile holt die Rechtsprechung auf, und es finden sich wieder einige Urteile, die insbesondere im Hinblick auf die Anerkennung einer Erkrankung als Arbeitsunfall wertvolle Informationen liefern.

1. Anerkennung einer Coronainfektion als Arbeitsunfall nur bei Ansteckungsnachweis

DER STREITFALL

Eine Betreuungskraft in einer Schule klagte auf Anerkennung ihrer Coronaerkrankung. Die Infektion sei möglicherweise in der Schule bei der Betreuung eines in Erkrankungsverdacht stehenden Kindes erfolgt. Das Kind sei selbst nicht getestet worden. Jedoch seien in der Großfamilie des Kindes zahlreiche COVID-19-Fälle aufgetreten. Auch der Klassenlehrer des Kindes sei mit COVID-19 infiziert worden. Zum damaligen Zeitpunkt gab es in der Schule weder Maskenpflicht noch Abstandsregeln. Bei der Klägerin verblieben Langzeitfolgen (allgemeine Abgeschlagenheit, Beeinträchtigung des Geruchs- und des Geschmackssinns).

DIE ENTSCHEIDUNG

Die Frau hat keinen Anspruch auf Anerkennung der COVID-19-Infektion als Arbeitsunfall. Es lässt sich schon nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass sich die Klägerin während der beruflichen Tätigkeit angesteckt hat. Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls setzt einen nachgewiesenen intensiven Kontakt mit einer infizierten Person voraus. Hier kann jedoch nicht mit der notwendigen Sicherheit angenommen werden, dass das Kind zum Zeitpunkt des genannten Kontakts mit der Klägerin überhaupt infiziert war.

SG Speyer, Urteil vom 09.05.2023, Az.: S 12 U 88/21

DAS BEDEUTET FÜR SIE

Dieses Urteil macht ein großes Dilemma bei der Anerkennung von Arbeitsunfällen durch Corona­infektionen deutlich: Laut Gericht hätte die Anerkennung im vorliegenden Fall nur erfolgen können, wenn der Nachweis für die Ansteckung von der Klägerin hätte geführt werden können. Das ist aber naturgemäß insbesondere dann „im echten Leben“ sehr schwer, wenn die erkrankte Person nicht mit Sicherheit sagen kann, wo sie sich angesteckt hat bzw. bei wem. Denn es ist ja nicht nur möglich, dass sie sich in der Schule bei der Betreuung infiziert hat, sondern theoretisch hätte sie sich Corona auch im privaten Bereich holen können. Zudem hätte bei der Ansteckung bei der Arbeit ja auch noch die infektiöse Person angegeben werden müssen. Das ist in Zeiten hoher Infektionszahlen nur sehr schwierig möglich, und das wird sich vermutlich in Zukunft als noch komplizierter erweisen, da Test- und/oder Isolationspflichten nahezu komplett abgeschafft wurden. Diese werden aller Voraussicht nach auch nicht wieder eingeführt, obwohl es sicher weiterhin Coronainfektionen geben wird – und dies zu bestimmten Zeiten auch in hoher Zahl. Erkrankte, und zwar insbesondere solche mit Langzeitfolgen, lässt das desillusioniert zurück: Sie stehen im Grunde alleine da und können nicht auf die umfangreichen Hilfsmaßnahmen zugreifen, die ihnen bei der Anerkennung der Infektion als Arbeitsunfall zustünden.

2. Verdienstausfall wird trotz fehlender Impfung entschädigt

DER STREITFALL

Im Streitfall klagt ein Unternehmen auf Erstattung einer an seinen Arbeitnehmer XX gezahlten Verdienstausfallentschädigung infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung nach dem Infektionsschutzgesetz. Der klagende Arbeitgeber, ein Personaldienstleistungsunternehmen, beschäftigte den Arbeitnehmer in seiner Freiburger Niederlassung. Dieser Mitarbeiter wurde im Dezember 2021 durch PCR-Test positiv auf Corona getestet. Die Stadt X bestätigte dem Mitarbeiter mit Schreiben vom 16.12.2021, dass sich dieser gemäß der Corona-Verordnung Absonderung vom 09.12.2021 bis zum 24.12.2021 absondern und damit isolieren musste. Der Arbeitgeber zahlte an den Mitarbeiter in der Zeit der Absonderung den Verdienstausfall nach § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG in Höhe von 476,39 € sowie für den Mitarbeiter Beiträge zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 266,47 €.

Antrag auf Entschädigung

Der Arbeitgeber beantragte beim Regierungspräsidium Freiburg die Erstattung des Verdienstausfalls und der entrichteten Sozialversicherungsbeiträge für diesen Arbeitnehmer nach § 56 IfSG für den Zeitraum vom 09.12.2021 bis zum 24.12.2021 in Höhe von 742,86 €. Es hätten vom 09.12.2021 bis zum 13.12.2021 fünf Krankheitstage vorgelegen. Im Feld des Antragsvordrucks zum „Impfstatus“ gab er an: „Nein“, unter „Möglichkeit der vollständigen Impfung“ erklärte er: „Ja“. Das Regierungspräsidium Freiburg lehnte die Erstattung ab. Denn gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erhalte keine Entschädigung nach § 56 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 5 und § 57 IfSG, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung, die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthalts des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, die Absonderung hätte vermeiden können.

DIE ENTSCHEIDUNG

Der Arbeitgeber gewann vor Gericht. Das Regierungspräsidium Freiburg hätte die Verdienstausfallentschädigung erstatten müssen. Der Entschädigungsanspruch ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Mitarbeiter nicht geimpft war. Gemäß § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erhält eine Entschädigung nach den Sätzen 1 und 2 unter anderem nicht, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder eine Absonderung hätte vermeiden können. Zum Zeitpunkt der Absonderung gab es eine öffentliche Empfehlung zur Impfung gegen Corona. Der Kläger hätte eine Absonderung durch eine COVID-Impfung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG jedoch nicht vermeiden können. Denn die Corona-Verordnung Absonderung sah grundsätzlich eine Absonderungspflicht unterschiedslos für geimpfte und für ungeimpfte infizierte Personen vor. Der Kläger hätte eine Absonderung im Sinne des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG nicht durch eine Impfung verhindern können, weil die Impfung wiederum eine Infektion verhindert hätte. Der Wortlaut der Norm („durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung […] hätte vermeiden können“) sieht aber vor, dass die Absonderung in vorwerfbarer Weise „verursacht“ worden sein muss, eben in diesem Fall durch die nicht erfolgte Impfung. Diese Voraussetzung der Verursachung der Absonderung durch die fehlende Impfung führt dazu, dass der Entschädigungsanspruch nur dann nicht besteht, wenn davon auszugehen ist, dass eine Impfung eine Infektion mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit oder gar mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen hätte. Das ist aber nach den Zahlen des Robert Koch-Instituts nicht der Fall: Danach beträgt die Impfeffektivität in der Altersgruppe des Beschäftigten rund 67 %. Von einer zumindest weit überwiegenden Wahrscheinlichkeit kann damit nicht ausgegangen werden.

VG Freiburg, Urteil vom 02.03.2023, Az.: 10 K 664/22

DAS BEDEUTET FÜR SIE

Das Urteil ist nachvollziehbar und in seinen Einschätzungen korrekt. Aus Sicht der beklagten Behörde mag es sinnvoll sein, Erstattungsansprüche von Firmen oft ablehnen zu können. Doch rechtlich haltbar war die Argumentation des Regierungspräsidiums in diesem Fall nicht. Es hatte sich darauf berufen, dass die fehlende Impfung des Arbeitnehmers ursächlich für dessen Coronainfektion war – mit andere Worten: Durch eine Impfung hätte die Ansteckung vermieden werden können. Daher sei der Arbeitnehmer praktisch selbst schuld und hätte daher keinen Anspruch auf eine Entschädigung hinsichtlich seines Verdienstausfalls. Somit könne auch sein Arbeitgeber keine Erstattung dieser Entschädigung nach § 56 IfSG verlangen. Doch diesen klaren Zusammenhang gaben die wissenschaft­lichen Daten mit einer darin angegebenen Impf-effektivität von rund 67 % zur Impfung nicht her.

3. Anerkennung einer Coronainfektion als Arbeits­unfall setzt Nachweis der Ansteckung voraus

DER STREITFALL

Eine Arbeitnehmerin in der Nachmittagsbetreuung einer Schule klagte auf Anerkennung ihrer Coronaerkrankung als Arbeitsunfall. Die Stadtverwaltung meldete dies der Berufsgenossenschaft mit dem Hinweis, die Infektion sei möglicherweise in der Schule bei der Betreuung eines in Erkrankungsverdacht stehenden Kindes erfolgt.

DIE ENTSCHEIDUNG

Das Gericht hat entschieden, dass keine Anerkennung erfolgt. Es lässt sich schon nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachweisen, dass sich die Klägerin während der beruflichen Tätigkeit angesteckt hat. Die Anerkennung eines Arbeitsunfalls setzt einen nachgewiesenen intensiven Kontakt mit einer infizierten Person voraus. Hier ist jedoch schon nicht klar, ob das Kind zum Zeitpunkt des genannten Kontakts überhaupt infiziert war.

Sozialgericht Speyer, Urteil vom 09.05.2023, Az.: S 12 U 88/21

DAS BEDEUTET FÜR SIE

Dieses Urteil macht ein großes Dilemma bei der Anerkennung von Arbeitsunfällen durch Corona­infektionen deutlich: Der Nachweis der konkreten Ansteckung fehlt. Es ist aber „im echten Leben“ sehr schwer, da die erkrankte Person oft nicht mit Sicherheit sagen kann, wo sie sich angesteckt hat bzw. bei wem. Erkrankte, und zwar insbesondere solche mit Langzeitfolgen, lässt das desillusioniert zurück.

Silke Rohde
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